Die gespaltene Kultur Amerikas

Die gespaltene Kultur Amerikas

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Prof. Dr. Robert Jewett

ROTHENBURG – „Im Laufe der Zeit werden Millionen Amerikaner den Deutschen für ihren entschiedenen, auf dem Völkerrecht basierenden Standpunkt dankbar sein!” Davon ist Prof. Dr. Robert Jewett überzeugt. Vor allem Außenminister Fischer habe sich für das Völkerrecht eingesetzt, gegen das die USA mit einem Angriffskrieg verstoßen. In einem FA-Exklusivinterview stand der Gelehrte Rede und Antwort. Am Mittwoch, 16. April 2003, ist er um 20 Uhr in der Kornhalle in einer Diskussionsveranstaltung des Forums Heilig Geist zu hören.

FA: Herr Professor Dr. Jewett, das Völkerrecht scheint außer Kraft gesetzt. Provozierend gefragt: Ist die US- Regierung verrückt geworden? 
JEWETT: Im Moment ja! Unsere Kultur ist gespalten, wir haben eine ver-rückte Seite! Die Kreuzzugs-Ideologie sorgt für den vereinfachenden Blick auf den Gegner, es ist der Gedanke, mit Gewalt die ganze Welt erlösen zu können. Diese Bilder werden von Superhelden-Geschichten in Comics, Filmen und Video unterstützt. Hinzu kommen mehrere Missverständnisse, die nach dem 11. September aufgetreten sind.

FA: Wo liegen die historischen Wurzeln für diese Erlösungs-Theorie? 
JEWETT: Die Kolonialisten im Nordosten waren Puritaner, die schon den Krieg gegen das Böse führten und sich auf die Geschichten vom Heiligen Krieg im Alten Testament bezogen. So wurden auch die ersten Indianer-Massaker begründet. Auch im Unabhängigkeitskrieg bezog man sich auf das Alte Testament. Da wurde der Psalm 35 gelesen (…Herr bekämpfe, die mich bekämpfen…) George Bush übernimmt genau diese Sprache nach dem 11. September.

FA: Ist dann George Bush ein religiöser Fundamentalist? 
JEWETT: Das ist ein Teil der Sache, aber nicht alles. Er stammt nicht aus einer fundamentalistischen Familie, es ist eher eine Art Kulturreligion, die eng mit nationalem Messianismus verbunden ist. Jedoch ist seine Partei jetzt weitgehend von Fundamentalisten dominiert, Billy Graham ist eine weiche Form davon. Auf der anderen Seite der Partei stehen die Neokonservativen und die haben eine säkularisierte Form derselben Ideologie. Bush steht in der Mitte und verkörpert instinktiv die Superhelden-Rolle, verbunden mit einem religiösen Berufungsgefühl wie viele Amerikaner. Von den 35 Millionen Fundamentalisten sind zirka achtzig Prozent hinter Bush. Die schwarze Bevölkerung nur zu zehn Prozent. Es gibt eine kulturelle Tradition, die Bush geschickt zusammengebunden hat.

FA: Ist es richtig, dass ein Clan von einflussreichen Leuten mit solch extremen Ansichten schon lange an die Regierungsmacht drängt? 
JEWETT: Schon in den achtziger Jahren gab es solche Leute, aber sie konnten sich nicht durchsetzen vor dem 11. September 2001. Es gibt zwei Denkfehler unserer messianischen Weltanschauung nach dem Anschlag: man hat alle Selbstmordanschläge als Terrorismus definiert und man hat einen Krieg erklärt. Und erst in dieser Kriegssituation wächst Bush in die Rolle des Superhelden hinein. Vorher hatte er nur wenig Unterstützung im Volk.

FA: Wissen die Amerikaner einfach zu wenig von Europa und der Welt? 
JEWETT: Das ist nicht der Grund des Problems. Es ist keine Sache der Intelligenz. Auch im Dritten Reich sind intelligente Leute einer mythologischen Denkweise gefolgt. Die Intelligentesten an Harvard z.B. sind für den Krieg.

FA: Geht es der Supermacht USA langsam ähnlich wie dem römischen Imperium – droht der Zerfall? 
JEWETT: Ich kann das nicht ohne weiteres so sehen. Jede Weltmacht hat sich irgendwann zu weit ausgedehnt. Doch man hat jetzt Milliarden Geldausgaben und das ungeheuere Defizit. Dies allein wird schon dazu führen, dass sich die Rolle der USA in der Welt verkleinert. Aber wir haben noch eine gesunde Seite unserer Kultur, die durch Vietnam zu Tage getreten ist und die sich auch jetzt wieder zeigen dürfte.

FA: Warum setzt sich die US-Regierung nicht vehement für die Lösung des zentralen Nahostkonfliktes zwischen Israel und den Palästinensern ein? 
JEWETT: Die Demokraten glauben, dass sie ohne jüdische Stimmen keine Wahl gewinnen. Daraus schließen sie fälschlicherweise Israel unterstützen zu müssen. Sehr überraschend war jedoch, dass sich in einer aktuellen Umfrage nur 52 Prozent der jüdischen Bürger für den Irak-Krieg aussprachen.

FA: Hat dieser Krieg irgendwo auch eine gute Seite? Verstärken sich danach die positiven Strömungen in der Völkergemeinschaft sogar? 
JEWETT: Ja, insoweit er für eine Klärung sorgt. Die größte Kriegsbereitschaft bestand historisch gesehen in Europa. Jahrhunderte lang sind hier schreckliche Kriege geführt worden. Dass sich jetzt die Europäer zum Völkerrecht bekennen, ist eine gute Sache. Wenn dies nach den Franzosen und den Deutschen im Laufe der Zeit sicher auch die Briten tun, so ist das ungeheuer entscheidend für die Entwicklung.

FA: Könnte es sein, dass die Amerikaner den Zusammenbruch des Kommunismus nicht verkraften, dass sie das Machtvakuum ausfüllen wollen? 
JEWETT: Teilweise haben sie recht, denn unser National-Missionismus braucht immer einen Gegner und den suchte man zunächst sogar im eigenen Land, aber jetzt hat man eine Gruppe von Gegnern außerhalb gefunden. An der Regierung sind intelligente Leute, die von ihrem Tun überzeugt sind, und die geben nicht so schnell auf.

FA: Das World Trade Center als Symbol der kapitalistischen Welt mit all ihren Ungerechtigkeiten ist zerstört worden. Jetzt soll ein noch größeres Symbol entstehen, das höchste Gebäude der Welt. Wäre nicht ein Zeichen der Bescheidenheit besser gewesen? 
JEWETT: Das ist richtig, aber diese Supernation, die sich so sicher fühlte, war sehr tief gestürzt. Doch anstatt zu erkennen, dass wir genauso verwundbar sind wie andere haben wir einen Mythos geschaffen und hier spielt der Superheld seine Rolle. Er rettet die hilflose Gemeinschaft in einer unzulänglichen Demokratie – aber er bricht dabei immer das Gesetz. Und hier gehen wir zurück zu den Puritanern mit ihrer biblischen Idee, dass der Heilige sich gegen die Welt stellen muss. Da wir diesen Weg des Superhelden gegangen sind, haben wir Fehler gemacht und gegen das Völkerrecht verstoßen, das wir früher selbst mit entwickelt und gestützt haben. Geschichten wie Spiderman, die die ganze Welt erobern, sind faschistisch und gegen eine verfassungsmäßige Ordnung.

FA: Sehen Sie denn bei uns Auswirkungen solcher Superheld-Geschichten in den Medien auf junge Menschen? 
JEWETT: Wir haben Anzeichen in Europa, z.B. was in Erfurt passiert ist. Die Geschichten lehren jungen Leuten, dass man gut handelt, wenn man das Böse tötet. Die Probleme der Unterhaltungsindustrie, die aus dem amerikanischen Messianismus in den dreißiger Jahren gewachsen ist, sind heute weltweit zu erkennen. Der Einfluss ist sehr stark. So wie Spiderman als Superheld für den Weltfrieden verantwortlich sein soll, sehen das auch die USA in ihrem Anspruch, was zu denken gibt.

FA: Kompensiert nicht die US-Regierung mit diesem Feldzug und ihrem außenpolitischen Gebahren die sozialen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten im eigenen Lande? 
JEWETT: Vielleicht kalkulieren das einige. George Bush hat vieles an bürgerlichen Rechten nach dem 11. September, z.B. den Schutz der Privatsphäre, einfach weggeworfen. Genau genommen jedoch unterwandert dieser verrückte Krieg sogar das Partei-Programm der Republikaner. Und dies wird eine schlimme soziale Auswirkung in Amerika haben. Man merkt das schon jetzt in vielen Lebensbereichen. Bei so hohen Defiziten und Militärausgaben bleibt einfach zu wenig für ein Gesundheitssystem und andere Dinge. Wir sind in dieser Hinsicht auf dem Weg ein südamerikanisches Land wie Argentinien zu werden.

FA: Was können Europäer in solch einer Lage für die Amerikaner tun? 
JEWETT: Die beste Hilfe ist die intellektuelle und moralische Unterstützung und zwar für die besten Werte von Amerika. Die Europäer sollten uns mehr beibringen von ihren historischen, leidvollen Erfahrungen mit einer „heiligen“ Kriegsmentalität.

FA: Glauben Sie dass die Bush-Regierung weitere Länder angreifen wird? 
JEWETT:Es gibt Länder wie Syrien und Iran auf der Liste, was total verrückt erscheint und ich hoffe nur, dass wir nicht die Energie haben noch so weit zu gehen! Es gab auch in Rothenburg einen dreißigjährigen Krieg, sie haben selbst hier Erfahrung mit solch Heiligen Kriegen bis ins 20. Jahrhundert in säkularisierten Formen. Die Europäer könnten den Amerikanern in Verdun und anderswo zeigen, wo das alles hinführt.

FA: Haben Sie eine biblische Antwort? 
JEWETT: Wir sind ein religiöses Volk. Aber warum versuchen wir nicht nach biblischen Grundsätzen unsere guten Seiten herauszustellen. Warum folgen wir nicht Jesajah, Jesus und Paulus? Denn das sind die vernünftigen Leute, die jede Kreuzzugsmentalität ablehnen. In ihrem Geist ließe sich auch ein Weltordnungssystem aufbauen.

FA: Wären Sie denn jetzt nicht lieber als Oppositioneller in den USA? 
JEWETT: Ich bin aus Vietnamkriegszeiten gewohnt gegen den Strom zu schwimmen, aber ich fühle mich derzeit wohler in Deutschland.

Zur Person:
Robert Jewett ist Professor für die neutestamentliche Interpretation (er wirkte an mehreren US-Universitäten) und Doktor der Theologie (1964 in Tübingen), zur Zeit Gastprofessor am wissenschaftlich-theologischen Seminar der Uni Heidelberg. Autor von 18 Büchern, zahlreiche Fachbeiträge, Studien und Vorträge (letzte Woche z.B. in einer Fernsehrunde mit Scholl-Latour und Kardinal Lehmann). „Captain America and the Crusade against Evil“ ist das jüngste, provozierende Werk des 69-Jährigen über den US-Kreuzzug. Hinter Superhelden (Batman, Spiderman) als erfolgreiche Elemente der Popkultur (Comics, Bücher, Filme) entdeckt er mystische Muster mit religiösen Wurzeln in der amerikanischen Geschichte und begründet dies in fundierten Betrachtungen.

ROLF DIBA

Fränkischer Anzeiger, 11.04.2003

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