Wiederaufbau, Original und Moderne nicht im Einklang

Wiederaufbau, Original und Moderne nicht im Einklang

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Gelungener Wiederaufbau: fast die komplette Galgengasse ist nach 1945 auferstanden. Foto: © rolf diba
ROTHENBURG –  Als Inbegriff des Mittelalters und romantischer Ort wird Rothenburg ob der Tauber gerne verklärt – Millionen Besucher  bestaunen das historische Stadt-Ensemble am Taubertalhang. Doch wie sieht es hinter den Mauern wirklich aus und vor allem wie geht man mit dem Denkmalerbe in der heutigen Zeit um?
„Gibt es eine Modernität in der Bewahrung der Vergangenheit?” wurde kürzlich in einer wissenschaftlichen Tagung im Wildbad gefragt, die sich  mit Städtebau und speziell dem Wiederaufbau der zu vierzig Prozent zerstörten Altstadt befaßte. Veranstaltet vom Referat „Tourismus, Kunst und Kultur“. Die weltberühmte Touristenstadt hätte gerne den Weltkulturerbe-Titel der UNESCO und bewarb sich jetzt schon zum drittenmal darum – wohl wissend, dass die Chancen dafür äußerst gering sind.

Das hängt schlicht damit zusammen, dass Mittelalter-Städte derzeit nicht mehr in der Kulturerbeliste gefragt sind. Mit acht deutschen Altstädten, davon Bamberg und Regensburg aus Bayern, ferner   Goslar, Lübeck, Quedlinburg, Stralsund, Weimar und Wismar,  ist man gut bedient.

„Der Rothenburger Weg zwischen Heimatschutz, malerischem Architekturstil und Postmoderne” war Tagungsthema, gemeint ist der Wiederaufbau der Ostern 1945 beim US-Luftangriff zu fast 40 Prozent zerstörten Altstadt.  Die kluge Entscheidung wurde zum wirtschaftlichen Erfolg der Touristenstadt. Besucher wissen kaum zwischen Nachkriegsbauten- und Original zu unterscheiden. Über zwei Millionen Tagesbesucher jährlich bestätigen das Konzept.

Von einer „herausragenden Denkmalstätte in Bayern, auf die wir stolz sind”, spricht Staatsminister Bernd Sibler. Aber für die Stadt ist es nicht einfach sich neu zu verorten zwischen Romantik und Realität. Der Rothenburger Weg, so OB Dr. Markus Naser, bedeute der  Stadt als Gesamtkunstwerk gerecht zu werden, jeder dieses Bild verändernde Eingriff habe zu unterbleiben.  Auch heute  wird im Zentrum neu gebaut (sogar ein großes Wohnquartier), doch dabei ist die „Einfügung ins Ensemble” zwingend.

Gepflegte Romantik-Idylle am Beispiel Plönlein, millionenfach fotografiert. Foto © rolf diba

„Nicht nur eine hübsche Altstadt mit putzigen Häusern und mehr als nur Zugpferd der fränkischen Tourismusindustrie oder Mittelalterromantik”, sei Rothenburg wie Stadtarchivar Dr. Huggenberger klarstellt.  Das Stadtbild habe sich seit dem frühen 17. Jahrhundert wenig verändert. Huggenberger spricht von „Reformation des Heimatschutzgedankens”:  Eine lebenswerte urbane Umgebung ohne zu verkitschen oder gar dem Auto Vorrang einzuräumen.

Mit Stadtentwicklung im Zeichen der „fossilenergetischen Transformation” setzte sich Dr. Thomas Götz von der Uni Regensburg auseinander. Mit der Verfügbarkeit sämtlicher Baumaterialien und dem Energieüberfluss habe sich eine ganz neue „Um-Welt“ entwickelt: „Die Baumarkteingangstür zur Toskana-Villa steht für die neue Freiheit, die in Ortlosigkeit und Verkennbarkeit mündet!” Im Wiederaufbau sieht Götz den „Widerstand gegen die Gewalt der Moderne“, die stillos sei. Der Wiederaufbau sei selbst „in seiner inkonsequenten Durchsetzung zutiefst menschlich“.

Dr. Philipp Maaß (Cuxhaven), hinterfragt, was eigentlich moderne Architektur beinhaltet. Rothenburgs Wiederaufbau lasse sich nicht auf „Vergangenheits-Vergoldung in Gefühlsvitrinen reduzieren”, gibt sich Dr. Mönninger (Braunschweig) überzeugt. Er spürte der „Ökonomie des Pittoresken“ nach und sagte, man müsse auch „über die zugrundliegende Leistungsform der Bodenordnung“ reden. Das biete in Rothenburg die Chance „aus den heutigen Konsumenten wieder Produzenten von Stadt zu machen.”

Braucht man noch mehr Bekanntheit?

Wie Authentizität zu verstehen ist und was Partizipation der Bewohner heißt, diskutierte man am Podium sehr kritisch. Die Sozialstruktur einer Altstadt, die ihre diversen Funktionen erhalten muß, um nicht zum Museum zu werden, kam manchem etwas zu kurz. Prof. von Buttlar, Berlin, sieht die originale Bausubstanz verbunden mit „handwerklich authentischen Wiederherstellungen und dem Gebrauchswert moderner Wohnlichkeit in Form einer sich einpassenden kritischen Rekonstruktion der zerstörten Altstadtpartien“.

„Ein außergewöhnliches, einzigartiges Beispiel europäischer vom Mittelalter und der frühen Neuzeit geprägten Stadtbaukunst” ist Rothenburg  für den früheren Stadtheimatpfleger Dr. Konrad Bedal.  Die Kulturerbe-Auszeichnung brauche man möglicherweise gar nicht bei dem Bekanntheitsgrad.

Tourismus- und Kulturchef Dr. Jörg Christöphler sieht  mit dem seit 2019 laufenden Pittoresk-Programm „Rothenburg als Landschaftsgarten“ und  der jüngsten Tagung die Argumente für die UNESCO-Liste jedenfalls viel fundierter herausgearbeitet als bei den schon 2004 und 2011 gescheiterten Bewerbungen.

Eine zunehmend gesichtslose Neustadt

Immer mehr Bauinvestoren sorgen zunehmend dafür, dass Rothenburgs Altstadt nur noch als touristisches Anhängsel in einer ansonsten stillosen und beliebigen Gesamtstadt versinkt. Schon jetzt spitzen teilweise nur noch Türme hinter den Beton-Blöcken hervor, während die durch Windräder „verspargelte Landschaft” (so Dr. Götz) den Fernblick prägt. Ein wertvoller historischer Grüngürtel (Philosophenweg) wird trotz vieler Proteste gerade als Baugelände für fünf Villen geopfert. Ein irreparabler Schaden, ebenso wie die ständig unkontrolliert fortschreitende Bodenversiegelung, das Verschwinden von Gärten und Grün – auch dort, wo kommunale Regulierung möglich wäre!

Lediglich die traumhafte Lage am landschaftsgeschützten Taubertal  bewahrt  wenigstens von Westen den  idyllischen Blick auf die Altstadtsilhouette – ohne diesen Glücksumstand wäre der Ort touristisch abgehängt. Rothenburg müsse als qualitätsbewußter Kulturort sowie als Bildungsstadt im Gespräch bleiben und dürfe sich nicht zum „künftigen Freizeitpark“ entwickeln, mahnt Dr. Christöphler.  Immerhin hat z.B. der bekannte Stadtplaner Theodor Fischer um 1900 die Neustadtentwicklung mit geprägt.  Und 1968 leistete man sich den Olmpiaplaner Günter Behnisch, dessen Oskar-von-Miller-Realschule jetzt unter Denkmalschutz steht.

Mittelalter alleine aber ziehe heute nicht mehr bei den politischen Entscheidern für die Kulturerbeliste, deshalb sei die Kombination mit dem Wiederaufbau wirksamer, ist Christöphler überzeugt und meint: „Es braucht einen langen Atem, das können zehn oder auch zwanzig Jahre sein”.
ROLF DIBA

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