Widersprüchlicher Geist

Widersprüchlicher Geist

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Ernst Unbehauen (Zeichnung: R. Hellenschmidt)
Ernst Unbehauen (Zeichnung: R. Hellenschmidt)

In memoriam Fritz Unbehauen

SPIELBACH – Es sind nicht immer die Großen, die eine Lücke hinterlassen. Fritz Unbehauen war kein Großer, aber in jeder Hinsicht eine Hohenloher Größe ­ ein immer noch bäuerlich geprägter Landstrich ist mit seinem Tod um eine Persönlichkeit ärmer geworden. Menschen von seinem ursprünglichen Schlag lassen sich nicht ersetzen.

Nur 72 Jahre waren ihm, der schon seit langem an Krankheiten laborierte, vergönnt. Ein erfülltes, ein entbehrungs- und arbeitsreiches, aber auch ein intensives Leben mit allen Höhen und Tiefen ­ er selbst ein Mensch mit Ecken und Kanten. Die Unbehauens in Spielbach! Das war schon zu Zeiten seiner Eltern eine erste Adresse und sie ist es bis heute geblieben. Hinterm Tresen in der spitzwegschen Stube sieht man ihn noch im Geiste stehen, in der ganzen Leibesfülle eines gestandenen Bierbrauers.

Daß er die Braukunst beherrschte, in Herrsching gelernt und sich in Andechs den letzten Schliff geholt hatte, den Braumeister mit Auszeichnung absolvierte und der über vierhundertjährigen Familientradition im Dorf alle Ehre machte, gehört zu den überzeugenden Berufsdaten. Aber zur kauzigen und doch liebenswerten Wirtspersönlichkeit kann man nicht ausgebildet werden, man wird vielleicht dazu geboren oder aber man wächst in die Rolle hinein. Er hat sie wie kein anderer verkörpert. Kauzig, launisch, stolz, liebenswert, kantig, charmant, tolerant, unnachgiebig, dickschädelig und zugänglich ­ was ließe sich diesem Kaliber von hohenlohischem Bauern nicht noch alles an Gegensätzen zuschreiben!

Die meisten mochten ihn so wie er war, andere kamen sowieso nicht mit ihm klar. War er gut aufgelegt, konnte man stundenlang philosophieren über die Politik, Gott und die Welt. Bereitwillig fügte sich der Gast seinem Wirts-Ritual: dem des Bestellens ebenso wie dem des sich oft endlos hinziehenden Bezahlens, wenn er sich endlich mit seinem bunt verzierten Holzkästchen neben einem niederließ, um die erlösende Frage „Wos heemmern g’hodd?“ zu stellen, die aber in der Regel erst einen freundlichen Dialog einleitete. Für den Gast war es allemal eine Auszeichnung vom Wirt persönlich mit einem kleinen Plausch abkassiert zu werden.

Nicht jeder Gast war ihm sympathisch, aber jeder willkommen ­ es sei denn, er war Neuling und orderte als Erstbestellung ein Wasser, dann konnte der Unbehauens Fritz so bedrohlich die Augenbrauen hochziehen, daß dem Gegenüber unbehaglich wurde. Schließlich hat sein Bier ­ und nicht nur der landesweit gerühmte Weihnachtsbock ­ einen Ruf, den schon gestandene Feuerwehrmänner nachhaltig gespürt haben.

Menschen jedweder Herkunft waren ihm willkommen, aber solche mit einer klaren Haltung schätzte er mehr als die Wachsweichen. Kein Wunder, daß in seiner Wirtschaft Andreas Bader und Gudrun Ensslin diskutierten, Joschka Fischer sich öfter niederließ, Alternative und Etablierte ihn herausforderten, wobei er immer frei nach Luther und gänzlich undiplomatisch das Maul auftat.

Als die baden-württembergische Landesregierung sein Bier zum Ausschank bei einem Staatsempfang erkoren hatte, da lehnte er nicht dankend, sondern mit deutlichter Kritik an der „Politiker-Bagasch“ ab und erteilte so seinen Stuttgarter Landesherren eine Lektion ­ das entsprach seinem stets etwas aufrührerischen Geblüt.

Für die Kenner ist Spielbachs Goldochsenbrauerei mit dem Bauernhaus, den Ställen und der Wirtsstube ein Refugium, in dem vergangene Zeiten konserviert sind. Glücklicherweise kamen die Unbehauens nie auf die Idee Zeit-Trends zu folgen, denn dadurch haben genug alte Dorfgasthäuser ihre Gesicht verloren.

Traditionsbewußt war er, der Spielbacher Wirt, sein wacher Geist ließ die Augen funkeln, wenn er auf der Couch, die das Kabinettle zierte (nur für erlesene Gäste!) zu den vielen an der Wand vergilbten Bildern von Prominenten und Gewöhnlichen seine Geschichten erzählte. Es war aber nicht nur die Wirtspersönlichkeit allein, sondern es ist das ganze Ambiente eines unverfälschten Hohenloher Bauernhauses mit Wirtsstube, das die Besucher in eine andere Zeit eintauchen läßt.

Dem Fritz wurden schon zu Lebzeiten viele Kränze geflochten ­ jetzt aber zieren sie endgültig seinen Sarg, an dem sich Freunde und Bekannte verneigen, für die er weit mehr war, als nur ein „Hohenloher Original“. Besonders seiner herzensguten Frau, die mit unermüdichem Fleiß und in großer Bescheidenheit Haus, Hof und Familie versorgt sowie Sohn Fritz, der selbst das Brauhandwerk erlernt hat, wendet sich tiefe Anteilnahme zu. An den Spielbacher Tischen aber wird der Senior weiter seine Stimme erheben, wenn seine Freunde nicht müde werden, ihn zitierend in die Gespräche einzubeziehen, sich seiner in Gestik und Diktus respektvoll und schmunzelnd zu erinnern.

ROLF DIBA

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