Keine Worte gefunden

Keine Worte gefunden

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Gedenken © rolf diba
Gedenken © rolf diba

„Lange Jahre haben wir keine Worte gefunden, zu lange wurde geschwiegen“. So drückte es Universitätsprofessor Dr. theol. Horst F. Rupp (ein Rothenburger) anläßlich einer Gedenkfeier für die Creglinger Juden aus ­ er hätte es auch in seiner Heimatstadt so sagen können!

Antisemitisches bzw. antijüdisches Denken und Handeln zieht sich seit dem furchtbaren Judenpogrom von 1298 wie ein roter Faden durch die alte Reichsstadt. Und es endet keineswegs mit den Gewalttaten und der Vertreibung bis 1938 im Dritten Reich.

In der Stadt atmeten viele auf, weil man das „Judenproblem“ bereinigt hatte: man mußte nicht mehr dem Textilhändler Hans Lißberger in der Galgengasse begegnen, dem Lehrer Sigmund Marx ins Auge sehen oder dem Sepp Wimpfheimer erklären, warum man seine Waren plötzlich nicht mehr kauft. Oder wie war den arisch-reinen Kindern in der Galgengasse beizubringen, dass sie auf einmal um den kleinen Nathan, Sohn der verwitweten Frau Oberndörfer einen Bogen zu machen hatten?

Wieso soll zwischen guten Nachbarn, gemeinsam aufgewachsenen Kindern, befreundeten, angesehenen Familien und Geschäftsleuten eine ideologische Rassenbarierre stehen? Wie leicht läßt sich der Haß schüren? Solchen Fragen auf den Grund zu gehen heißt, man darf das Dritte Reich und Hitlers Rassenpolitik nicht als 1933 vom Himmel gefallen betrachten, sondern man muß sie zwingend im historischen, jahrhundertelangen Kontext sehen. Und in direkter Linie zum Pogrom im 13. Jahrhundert (die ganze 450-köpfige Rothenburger jüdische Gemeinde wurde im Burggarten erschlagen und verbrannt!) läßt sich nachvollziehen, welche Lunten christliche Prediger mit ihren Haßtiraden gelegt haben.

Scheibchenweises Erinnern

Ganz behutsam haben sich die Rothenburger an ihr dunkelstes Geschichtskapitel herangetastet, beginnend mit dem, was am weitesten wegliegt: der Judaika-Abteilung des Museums, für die Frau Dr. Merz Dank gebührt. Gefolgt von Erinnerungsschildern und Tafeln, erst in jüngster Zeit fundierter und ernsthaft auch auf das Dritte Reich bezogen, wie der durchaus würdige Gedenkgottesdienst zur jüngsten Enthüllung einer Gedenktafel zeigt. Schamhaft geht man mit Namen um. Und dabei ist es kein Geheimnis, welches bedeutende Künstlerbundmitglied die Judentafeln gemalt hat oder welcher frühere Festspielvorsitzende als SA-Mann mit dabei war, als der Geschäftsmann Westheimer barfuß durch die Gassen getrieben wurde. Das ist auch nicht mehr entscheidend, aber es wäre längst wichtig gewesen lebende Zeitzeugen zu befragen, Dokumente zusammenzutragen, Fakten zu sammeln und niederzuschreiben. Die Stadt hat es lange genug versäumt und dann auch noch rund 60000 Mark öffentliche Mittel an der falschen Stelle für eine nichts erhellende historische Studie zum Dritten Reich ausgegeben. Die verstaubt jetzt in der Amtsstube, weil sie keiner drucken will.

Unsere Redaktion konnte für die 1983 veröffentlichte NS-Serie noch einige Zeitzeugen befragen. Es hat auch standhafte Rothenburger wie z.B. Michl Emmerling gegeben, die schon früh vor dem Unheil warnten. Die Mehrheit aber schwieg und sah weg.

Schon in den zwanziger Jahren hetzte man in der Stadt gegen Juden. Anfangs gab es noch Gegenwehr, Leserbriefe, redaktionelle Beiträge, in denen die Menschenwürde hochgehalten wurde. Dann aber verstummten diese humanen Stimmen und nach 1933 wurde „gleichgeschaltet“.

Hetzreden in den Zwanzigern

„In dieser Zeit höchster Not unseres deutschen Vaterlandes, dessen Schicksal uns deutschen Juden so nahesteht wie nur irgendwem, gibt es Besseres zu tun, als einen alteingesessenen Bevölkerungsteil zu beleidigen und die Menschen durcheinanderzuhetzen“, heißt es im Leserbrief von 1924 von israelitischer Seite auf eine örtliche Hetzrede einer Frau Ellendt („Reichsflagge“).

Rothenburger Juden sind im 1. Weltkrieg gefallen, von 40 deutschen Nobelpreisträgern bis 1933 waren elf jüdischen Glaubens. Und vor allem waren deutsche Juden Patrioten, viele haben es bis zum KZ nicht geglaubt, dass Sie ihr eigenes Vaterland hinmordet ­ das Land Schillers und Goethes!

Der Zentralrat der Juden in Deutschland und die Bundesregierung sind dabei einen Staatsvertrag zu formulieren: jede Form des Antisemitismus soll im Sinne unserer wehrhaften Demokratie bekämpft werden. Das ist dringend notwendig, denn Antisemitismus ist allgegenwärtig.

Das Heimtückische sind nicht kriminelle Gruppen (Neonazis), sondern es ist der fruchtbare Boden um uns herum, das unterschwellige Gerede, die Judenwitze auf dem Betriebsfest, die Fragen, was das schon wieder mit dem Judengedenken soll, wo doch die Israelis schon selbst genügend Palästinenser umgebracht hätten und auch nicht besser seien als Hitler! Und die Juden eh selbst schuld seien und, und, und.

Soziale Spannungen im Wohlfahrtsstaat begünstigen die Suche nach Sündenböcken ­ schon wieder müssen Juden in Deutschland Angst haben und schon wieder will man darüber hinwegsehen. Erinnern allein genügt nicht, Schuld bekennen auch nicht. Nur Erkennen und Handeln helfen. Schon im Kleinen. Auch an hiesigen Stammtischen!

ROLF DIBA

Fränkischer Anzeiger, 16./17.11.2002

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