Rothenburg und die freien Reichsstädte nehmen in seinem Buch (im Pustet-Verlag Regensburg) einen gebührenden Platz ein. Und seine Hinweise auf globale Abhängigkeiten und fragliche Wirtschaftsmodelle erlangen in Corona-Zeiten höchste Aktualität, wobei Thomas Götz sicher ist: „Die Welt nach Corona wird auch und gerade in den Städten eine andere sein. Der dauerhafte Wohlstand – Tempi passati. Alte, kleine, identitätsverbürgende Städte könnten eigentlich jetzt ihr Resilienz-Potential ausspielen!”
Das moderne Bayern ist geprägt durch die Integration der vielfältigen fränkischen und schwäbischen Städtelandschaften. Geschichtliche Umwälzungen wie Industrialisierung und die Kriegszerstörungen wirken nach, Digitalisierung und globales Denken und Handeln verändern die Sozial- und Stadtgesellschaft, Heimat hat inzwischen einen multikulturellen Anstrich. Historisch gewachsene und bis in die Nachkriegszeit gerettete Städte- und Landschaftsbilder sind auch im Fränkischen schon längst verschwunden oder zumindest akut bedroht.

Der Autor blickt bis 200 Jahre zurück zu den bayerischen Städten mit ihren präzise geplanten und unverwechselbaren Konturen. Ein Planer wie Camillo Sitte (1843 bis 1903) kommt ebenso ins Spiel wie der mit Rothenburg verbundene Städteplaner Theodor Fischer (Luitpoldschulhaus), der um 1900 Anliegen der Moderne mit Anliegen des Historismus verband. Dass Rothenburg nach dem Bombenangriff 1945 nicht Tabula rasa machte, sondern behutsam aufbaute, ist ein Glücksfall, und die Wiederaufbau-Architektur sei heute „genuines Zeit-Zeugnis und als solches als denkmalwürdig zu sehen”, so Götz.
Die Identität der Festspielstädte
Die Anfänge der Fassadenkunst um 1900 ließen sich „in den Hochburgen der aufkommenden, Identität erfindenden Festspielstädte Rothenburg und Landshut beobachten“, stellt der Autor fest und meint: „ Im touristisch sich einfärbenden Blick verschwammen die Grenzen des Authentischen”.
Götz erinnert an den bayernweiten Versuch in den 50iger Jahren an Formen der alten Stadt anzuknüpfen. Dann aber habe man „Schneisen für die autogerechte Stadt geschlagen“. Erst Mitte der Siebziger versuchte man umzusteuern, doch es folgten Flächensanierungen, die vieles beseitigten, was noch substantiell vorhanden war. Es blieb vielfach ein „Durcheinander von Siedlung und Gewerbe ohne jede Gestaltungsvorschrift” übrig, konstatiert der Autor. Inzwischen habe eine derartige Beschleunigung eingesetzt, „dass man es (bei den Entscheidungsträgern) einfach laufen läßt, um möglichst große Rendite herauszuschlagen”.

Die 50iger und 60iger Jahre hätten das Gesicht der deutschen Stadt „mehr umgeformt, als alle Epochenbrüche zuvor”, sagt Götz und heute orientiere man sich an internationaler Moderne. So wolle man den Ingolstädter Bahnhof aus den fünfziger Jahren abreißen und eine Hochhaus-Dominante bauen. Das sprenge die Maßstäbe zur Altstadt wie es ähnlich auch in Kleinstädten geschehe. Wenn dann von Verdichten geredet werde, so sei dies „ein Etikettenschwindel“.
Man erlebe gerade „die dritte Zerstörung der Stadt“, gebe vor, auf Menschlichkeit und Maßstäblichkeit zu achten, meine jedoch hinter „weltläufiger Moderne nicht zurückstehen zu dürfen”. Götz: „Architektonische Experimente ohne Maßstäblichkeit werden gerne verkauft unter dem Label der Weltläufigkeit und eines Vokabulars, das eigentlich schon ideologisch ist.“ Dies führe zu Shopping-Malls wie in Ingolstadt oder Wertheim-Village, wo Altstädte durch künstliche Einkaufswelten konterkariert werden.

Das Auge möchte Halt finden
Nach Camillo Sitte gelte es im gestalterischen Städtebau an das anzuknüpfen, was die Schönheit alter Städte ausmacht, nämlich geschlossene Straßen- und Platzräume, denn: „Das Auge möchte Halt finden und sich nicht im Nichts und Nirgendwo verlieren”. Heutzutage erfahre man „die Entheimatung durch anonyme Straßenräume”. Das sei auch ein soziales Problem, denn in solchen Vierteln finde man eher Verwahrlosung, Vandalismus und Mißachtung.
Konflikte sieht Götz auf vielen Feldern, auch in der Klimapolitik beim „gedankenlosen Windradausbau”, Es sei fatal, wenn keine Rücksicht mehr auf ein Gesamtkunstwerk von Landschaft und alter Stadt (Beispiel Rothenburger Umland) genommen werde. Dass auch die historischen Dorfkerne in einem Siedlungsbrei untergehen, ist überall feststellbar.
ROLF DIBA