ROTHENBURG – An den Advents-Wochenenden sollte eigentlich Hochbetrieb in Rothenburgs Altstadt und dichtes Gedränge auf dem Reiterlesmarkt herrschen – aber statt zehntausende Besucher müssen die vielen tourismusabhängigen Betriebe mit dem unerwarteten Ausfall der Vorweihnachts-Saison kämpfen. Die Staatsregierung hat mit der Marktabsage den ohnehin schon deutlichen Corona-Folgen noch eins draufgesetzt, der Unmut ist groß. Aber man stellt sich auf die Situation ein und macht das Beste daraus. Rothenburg setzt sich dazu als „die besuchenswerte Weihnachtsstadt”, die trotzdem viel zu bieten hat, in Szene.
Lockdown durch die Hintertür
Betroffene sind „stocksauer” auf das Taktieren der Regierung und einzelne Maßnahmen. Vom „Lockdown durch die Hintertür” für Kulturbetriebe spricht Tourismuschef Dr. Jörg Christöphler. Dass ein geimpfter Besucher, der ins Museum will, sich vorher auch noch tesen lassen muß, empfindet man als schikanös. Die Regel gilt für alle Kultur- und Freizeiteinrichtungen und sogar für Gästeführungen im Freien, was natürlich keinen Sinn mehr macht. Das Rothenburg-Museum mußte deshalb bis Jahresende schließen, weil die Eintrittsbarrieren zu hoch sind. Das mittelalterliche Kriminalmuseum versucht trotzdem noch durchzuhalten und bleibt geöffnet.
Bayern habe sich gerade „vom Kulturstaat zum Apres-Ski-Staat” gewandelt, stellt der Tourismuschef ironisch fest, denn in den Alpen wurde am 7. Dezember die gültige 2G-Plus-Regel für Ski-Gondeln wieder aufgehoben, was wohl mit einer starken Wirtschafts-Lobby zu tun hat, die 2G durchsetzte. Die Rothenburger Gästeführer hatten nach ihrem Protest gegen die Plusregelung vom Landratsamt am 26. 11. sogar die 2-G-Regel im Freien genehmigt bekommen – was dann nach drei Tagen wieder untersagt wurde! Ziemlich viel Fragezeichen im Regel-Durcheinander.
Schon von Anfang an war die Stadt zum Reiterlesmarkt mit Absperrungen und Einlaßkontrollen auf 2 G vorbereitet, hatte in Glühweintassen (seit 2020 stapeln sich schon 30.000 Stück), Einlaßbändchen und die Organisation investiert. Auf dem Marktplatz, dem Grünen Markt und dem Kirchplatz standen bereits 47 Buden mit größerem Abstand und das Einräumen hatte schon begonnen. Manche Hotels und Gasthäuser meldeten volle Belegung. Der Einzelhandel hoffte nach anhaltend sinkenden Umsatzzahlen wieder auf einen Umsatzschub zum Jahresende. Dann die unverständliche kurzfristige Absage entgegen aller Beteuerungen.
Der Alt-Rothenburger Reiterlesmarkt bringt üblicherweise weit über 100.000 Gäste zusätzlich im Dezember in die Stadt (bei geschätzten 1,9 Millionen Besuchern pro Jahr). Er zählt zu den ältesten und schönsten in Deutschland. Nun sind gerade mal fünf um das Rathaus verteilte Buden mit Leckereien und Geschenkartikeln übriggeblieben.
Gastronomie und Hotellerie – hier gilt wie im Handel 2 G – nutzen ihre Möglichkeiten ergänzend auf Terrassen, in Höfen oder direkt vor dem Haus auszuschenken und mit fränkischen Bratwürsten oder Kleinigkeiten zu bewirten. Am Kirchplatz verbreitet ein Kinderkarrussell vor geschlossenen Buden ein bisschen Stimmung. Die weihnachtlich geschmückten Häuser laden zum Bummel durch die Gassen ein. Einige befragte Gäste finden das gar nicht so schlimm, da sei Rothenburg umso beschaulicher, so drei Besucher aus dem Rheinland.
Sorge um den Fortbestand einzelner Betriebe
Wie effektiv das „Auffangen der wirtschaftlichen Einbußen” bei zahlreichen Betrieben durch staatliche Ausgleichszahlungen sein wird, weiß im Moment noch niemand zu sagen. Jürgen Klatte: „Das wird für viele existientiell!” Die Hotelbuchungen zur Weihnachtssaison seien reihenweise storniert worden: „Manch ausgebucht gewesene Häuser sind jetzt wieder fast leer!”
Bis 2024 läuft noch das förmliche Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung. Der Restrukturierungsplan greift und Firmenchef Harald Wohlfahrt ist sehr zuversichtlich. Rund 250 fest angestellte Mitarbeiter gehören zum Unternehmen, im Dezember wären es normalerweise weltweit bis zu 1500 saisonal Beschäftigte.
Das Polster für den Jahresbeginn fehlt
Von einer sehr schwierigen Lage spricht Anett Utz, die eine Mode-Manufaktur mit eigener Textilproduktion im Zentrum betreibt. Sie hat außerdem die Gruppe „Handmade in Rothenburg” initiiert, der sieben Geschäfte angehören. „Für uns ist das katastrophal, wir haben das Lager voll und müssen im Dezember die Rücklagen bilden für die ruhigen Monate Januar bis März” betont sie. Dabei hatte man im Sommer das Gefühl wieder auf die Spur zu kommen, denn die Umsätze in allen Branchen zogen an. Mehr inländische Gäste halfen beim Auffangen des zu 70 Prozent weggebrochenen Auslandsmarktes, vor allem aus Übersee.
Hotelchefin Corinna Rother vom „Reichsküchenmeister“ hatte bei 55 Zimmern über 90 Prozent belegt und nach der Marktabsage blieben gerade noch 16 zum 2. Advents-Wochenende übrig. Unter der Woche geht das bis auf sechs Zimmer zurück. Auf Sylvester hat man viele gebuchte Arrangements mit 6-Gang-Menüs, aber es muß um 22 Uhr geschlossen werden anstatt ins neue Jahr feiern zu können wie das mit Mitternachtsbüfetts üblich ist. Die Gäste in die leeren Gassen oder ins Bett zu schicken ist keine berauschende Alternative.
Ohne Kurzarbeit ginge es nicht
„Wir waren schon vorsichtig beim Wareneinkauf” unterstreicht Hannes Reingruber, dessen Familie ein traditionelles Altstadtgeschäft mit großem Sortiment betreibt: Drogerie- und Reformhaus-Artikel, Babyausstattung und eine Fotoabteilung gehören dazu, Service wird großgeschrieben, was ein Stammpublikum (viele aus dem Hohenlohischen) honoriert, doch ohne Touristen reicht es nicht. Kurzarbeit half mit der Umsatzhalbierung im Corona-Jahr zurechzukommen. „Es fehlen uns die ausländischen Gäste”, stellt Reingruber fest. Hinzu kommt, dass der Internethandel boomender Krisengewinner ist.