Auf Erden – Blätter vom Abreißkalender

Auf Erden – Blätter vom Abreißkalender

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Autor Manfred Kern bei seiner Lesung auf dem Edzerdla-Festival. Foto © rolf diba

Rothenburg – Es war kein fester Plan, aber dann „sind mir die Dinge so zugeflogen im Alltag“ erzählt der Autor Manfred Kern und am Ende kamen 114 Texte heraus, die sich zu einem tagebuchähnlichen Werk fügten. „Auf Erden – Blätter vom Abreißkalender Mai 2018 bis April 2019“ ist sein Aktuellstes unter den zahlreichen Büchern mit Lyrik, Erzählungen und oft tiefgründig philosophierenden Gedanken, meist geprägt aus eigenem Erleben. 

Der gebürtige Rothenburger wuchs im elterlichen Bauernhof in Wettringen auf, eine bis heute vor allem durch den übermächtigen, strengen Vater prägende Zeit, wie er sie unter anderem in seinem Roman „Die Preisrede“ verarbeitet hat. Dort erzählt er die bewegende Geschichte einer gefährdeten Kindheit in literarisch einprägsamen Bildern. Ein nachdenklicher und nicht immer leichter Stoff. Träume, Phantasien und Ängste aber tauchen auch im neuen Werk in ganz anderem Kontext wieder auf. Bei Manfred Kern herrscht immer Tiefgründigkeit, auch wenn sie manchesmal heiter daherkommt. 

Das Schaffen des heute 63jährigen, der schon seit 1985 mit seiner Familie in Coburg lebt, ist bemerkenswert umfassend – und vor allem gehört er zu den wenigen, die auch in der Tradit ion einer kritischen Mundartlyrik und Literatur stehen, wobei ein Wilhelm Staudacher (Rothenburg) oder Gottlob Haag (Wildentierbach) ihm große Vorbilder sind. Die Lücke, die sie hinterlassen haben, war nicht mehr zu füllen und die fränkisch-hohenlohische Region ist in den letzten Jahrzehnten auf diesem Felde ärmer geworden. Im Gespräch bedauert Manfred Kern, dass immer weniger Mundart gesprochen, geschweige denn gepflegt wird und hier ein Stück ausdrucksstarker Kultur am Entschwinden ist. Mit Gertrud Schubart ist dieses Jahr auch die letzte Mundartvertreterin in Rothenburg verstorben.

Titelseite des Buches von Manfred Kern (Verlag Königshausen & Neumann). Foto © rolf diba

Was hochsprachlich ausgedrückt wird in Prosa und Gedichten oder wo sich besser die tieferen Schichten und Varianten der fränkischen Mundart anbieten, ergibt sich für Manfred Kern jeweils im Einzelfall. Beides aber beherrscht er. Meist kommt es auch einfach aus dem Bauchgefühl heraus, welche Form die passende ist. Wegmarken sind sein erstes Buch „Der Abgang“ (1999), sein Poesiealbum für die Tochter Laura, etliche Gedichtbände oder auch Erzählungen wie „Die Verwunschenen“. 

Zehn Jahre lang hatte er „nichts aufs Papier gebracht“, wie er berichtet, die Problematik mit dem übermächtigen Vater war prägend und erst nach dessen Tod 1994 kam der Gedichtband „Offene Wunden“ als eine Art Befreiung. Mundartlich humoriges wie die Übertragung der Geschichte von Moses und den zehn Geboten ins Fränkische gehören ebenso wie Arbeiten mit historischem Bezug im fränkischen Lese- und Hausbuch dazu. 

Die Kombination von Lyrik und Musik im Zusammenwirken mit dem Musiker und Gitarristen Harry Düll mit der CD „Habbag auf dem Highway“ ist ein weiteres Beispiel des vielfältigen Schaffens.

Die Jahreszeiten, die Festtage und der heiße Sommer des letzten Jahres sind der Rahmen, in dem der Autor seine poetischen Bilder eingefangen hat. Auf seinen Wanderungen durch die Natur kamen ihm viele Gedanken, dazu zählen auch Liebesgedichte, ebenso Melancholisches, manches ist sehr persönlich und knüpft an an Erfahrungen und Erlebnisse mit nahestehenden Menschen. 

Es ist der Wechsel von Prosa und Lyrik, von Aphorismen und Gedichten mit meditativem Charakter, einzelne an die japanische Form des Haiku erinnernd, so wie im „Selbstportrait“. Dagegen die lange Gedichtform in der „Vorstellung meines Universums“. Seine Lyrik wie im „Flügelschlag der Liebe“ berührt die Seele. Auch politisch wird es in einem Beitrag zum Rechtsradikalismus („…immer wieder flammen die Brandherde auf“).

Das neue 220-seitige Buch im Verlag Königshausen und Neumann ist nichts zum Durchlesen wie man vielleicht einen Roman verschlingt, sondern es ist tägliche Anregung zum Nachschlagen, manchesmal zum gedanklichen Mitfühlen, selbst berührt und angeregt sein von den Gedankgengängen. Ein Lesebuch mit Nachgang, wobei man die Blätter des Abreißkalenders gerne wieder hervorholt. 

Manfred Kern bleibt rastlos und schreibt bereits an einem Roman, der nochmal auf die Familiengeschichte eingeht. Über seine heute 94jährige Mutter fand er den Zugang zur Mundart, die für ihn in der Welt der Hochsprache und immer mehr um sich greifenden Sprachverschluderung weiter ihren gebührenden Platz haben wird. 

Lesungen mit Manfred Kern (2013 mit dem Gottlob-Haag-Ehrenring ausgezeichnet) in Rothenburg (Samstag, 25. Januar 2020 um 19.30 Uhr in der Stadtbücherei), Langenburg und Nürnberg sind für das neue Jahr vorgesehen. 

DIETER BALB

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