Wie der Hans im Glück

Wie der Hans im Glück

Zu Besuch im Luxus-Gefängnis

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Hanns Teichert @ rolf diba
Hanns Teichert @ rolf diba

Die faszinierende Story des Künstlers und Dekorationsmalers Hanns Teichert aus Dresden, der in den zwanziger Jahren in die USA auswanderte und dort Karriere machte (im Interview kurz vor seinem Tod), erschien in der Lokalzeitung „Fränkischer Anzeiger“ vom 10. April 1993. Er kannte Al Capone noch persönlich, das Fernsehen widmete ihm vor Jahren eine Sendung, denn viele Theater in den USA vom Broadway bis Chicago tragen seine Handschrift. 

An jedes Detail seiner aufregenden Chicagoer Zeit in den zwanziger Jahren erinnert er sich, aber trotz der steilen amerikanischen Karriere bis zum Millionär blieb der gebürtige Dresdner Hanns R. Teichert immer auf dem Boden der Tatsachen. Im Gespräch mit ihm tauchen noch einmal die Bilder einer großen Zeit in einem bewegten Leben auf.

Nicht nur um Hanns sichert, auch in seinem Haus ist es seit Jahren still geworden. Vorbei sind die Zeiten der vielen Hauspartys, der Begegnungen und Gespräche mit Menschen aus aller – nur seine nie rastende Ehefrau Gloria steht mit ihrem Engagement für die jetzt weltweit im Aufbau befindliche Sozialorganisation „Pure Water“ ab und an im Licht der Öffentlichkeit. Dabei sind die Reicherst Leute, die Geselligkeit lieben: Er, der gebürtige Sachse aus Dresden, sie, die einstige Schönheitskönigin aus Kanada. Beide haben sich in den USA kennengelernt, wo Hanns Teichert im Chicago der „Goldenen Zwanziger“ eine Existenz begründete, die zum Fundament einer wie traumhaft erscheinenden Karriere wurde.

Solide Handwerksarbeit

Die Traumkarierre ist in Wahrheit die Geschichte harter Arbeit, auch einiger Zufälle und der Vorliebe der Amerikaner für solides deutsches Handwerk. „Designing Interieur, Decorating and General Painting“ steht auf der Visitenkarte, die der Deutsche in der Michigan Avenue in Chicago in großer Stückzahl brauchte, weil die Kundschaft ihm bald die Türen einrannte.

Das Malen, Zeichnen und Einrichten der Umgebung mit Farbtöpfen und Pinsel scheint im Blut der Teicherts zu liegen. Nicht nur der Vater, auch der Urgroßvater war ein guter Dekorationsmaler. Während er noch die Paläste des sächsischen Adels mit Künstlerhand verzierte, widmete sich sein späterer Enkel den „Palästen des Kapitalismus“ in Amerika.

Dabei sah der Berufsstart für Hanns Teichert eigentlich ganz anders aus: „Ich sollte zwar ins Malerhandwerk gehen, aber meine Mutter war dagegen, weil die Maler alle so leichte Brüder waren und immer viele Liebschaften hatten“, schmunzelt der 92jährige, der mir im Sessel seiner Bibliothek munter drauflos plaudernd gegenübersitzt und ein erstaunliches Gedächtnis beweist.

Während der Vater im 1. Weltkrieg war, mußte dann Hanns den Kaufmannsberuf lernen und wurde zunächst Kontorist. Aber die drei Jahre Buchhalter konnte er später für das eigene Geschäft gut gebrauchen und die handwerkliche Malerausbildung war nachzuholen, das in ihm steckende Talent erleichterte die Sache.

Hanns Teichert denkt zurück an jenen Tag des Jahres 1920, als er aus der Singstunde herausgeholt wurde, weil ein Brief aus Amerika an ihn eintraf. Es war die Nachricht vom Onkel, der dort schon länger lebte. Im Kuvert steckte die Schiffsfahrkarte für die USA. „Ich hatte gleich Wein bestellt und Abschied gefiert, denn für mich war klar, ich wollte gehen!“

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Der Abschied in seinem kleinen Heimatort bei Dresden wurde zum Volksfest mit Fahnen, Gesangverein, Feuerwehrspalier und Sportleraufmarsch. 1921 kam Teichert nach Chicago und dort half ihm wieder ein Zufall: In einer Kneipe lernte er den Manager eines großen Hotels kennen, der ihm für zwei Wochen ein Zimmer gab, wofür der Dresdner eine Decke im Hotel farbig gestaltete: „Das hat mich hochgebracht, denn die anderen kannten das nicht und so kamen die Aufträge, wobei unsere arbeiten als die besten galten und es auch viele Preise gab.“

Hanns Teichert @ rolf diba
Hanns Teichert @ rolf diba

Der Handwerker aus Deutschland verlor keine Minute, arbeitete hart und fleißig, die Qualität seiner Arbeit war die beste Visitenkarte. Unzählige Kirchen hat er ausgemalt, wertvolle Fresken an öffentlichen und privaten Bauwerken geschaffen, Wohnungen reicher Amerikaner innenarchitektonisch geplant und dann komplett gestaltet. Die zwanziger und dreißiger Jahre waren die große Zeit der Lichtspieltheater und der Schauspielhäuser in den USA. Über zweitausend Kinos und Theater stammen in ihrer zumeist sehr aufwendigen Wand- und Deckenmalerei von Hanns Teichert und seiner Truppe.

Die Hanns-Teichert-Studios wurden durch Zeitungsberichte über den erfolgreichen Inneneinrichter, Maler und Dekorateur bald im ganzen Land bekannt. So gehörten die Broadway-Theater in New York ebenso zu den Aufträgen wie Bauwerke in allen anderen großen Städten. Bereits im Januar 1928 bezeichnet die US-Presse den Einwanderer aus Dresden als einen „der führenden Dekorateure und Einrichter Amerikas“.

Eigene Farbskala entwickelt

Die Amerikaner waren von der Vielseitigkeit Teicherts beeindruckt. Er war in der Lage alle Stilepochen an Wänden und Decken lebendig werden zu lassen (wozu auch Plastiken und Reliefs zählten), schuf aber auch modernes Grafikdesign. Doch nicht nur berühmte Theater und Kirchen, auch Hotels, Restaurants und Nachtclubs trugen damals die Handschrift von Hanns Teichert. Die Farbtechnik und Farbmischung wurde ein Teichertsches Patent. Bis heute wird die Teichert-Farbkarte verwendet. Der Konkurrenz hat es an Erfahrung und handwerklichem Können gefehlt.

Teichert Studios
Teichert Studios Chicago

Bei manchen Striptease-Schuppen und Bars in Chicago war im Hintergrund kein Geringerer als der legendäre Gangsterboss Al Capone der Auftraggeber: „Lexington Hotel, sein Headquarter, und alle seine Nightclubs hab ich gemacht“, erinnert sich Teichert. Aus nächster Nähe hat er ihn gekannt, „aber groß Hände geschüttelt hab‘ ich nicht“, erzählt er. Zur Künstler-Natur des Dresdners gehörte schon immer die Sammler-Leidenschaft, vor allem wenn es um große Meister in der Malerei ging. Im Jahr 1940 zeigt er über 200 der wertvollsten Bilder aus seiner Privatsammlung in einer viel beachteten Ausstellung im Staat Illinois.
Um nicht mit einem deutschen Offizier der Hitler Armee verwechselt zu werden, lässt sich Hanns Teichert in der Kriegszeit sein Spitzbärtchen abnehmen, jetzt erinnert er noch mehr mit Hut und Pfeife an einen Kerl wie Hans Albers. Er war, wie er sagte, Amerikaner, aber hing doch an seiner Heimat, in die ihn schließlich familiäre und gesundheitliche Gründe wieder zurückführten. 1949 hat er seine völlig zerstörte Geburtsstadt Dresden (sein Schulfreund war der von Terroristen ermordete Generalbundesanwalt Buback) das erste mal wieder besucht und auch einen Abstecher nach Rothenburg unternommen. „Kauf dir doch ein altes Schloss“ hatte ihm sein Bekannter, der Ansbacher Zeitungs-Verleger Wiedfeld, geraten, der mit Teichert schon in Chicago zusammengetroffen war.

Hanns und Gloria Teichert
Hanns und Gloria Teichert

Gefängnis wird zur Villa
„Warum kaufst du nicht unser Gefängnis?“ Fragte ihn Oberamtsrichter Streicher beim Schoppen im „Baumeisterhaus“. Und schnell wurde aus einer spinnerten Idee Wirklichkeit. „Damals“, so Gloria, „hätte man für einen Spottpreis halb Rothenburg kaufen können, aber der Hanns sagte, man macht das nicht, so darf man die Lage der Menschen nicht ausnutzen!“
Nachdem Hanns und Gloria Teichert 1956 ins ehemalige Amtsgerichtsgefängnis nach jahrelangen aufwändigen Umbauten eingezogen sind, geraten sie weltweit in die Schlagzeilen: „US- Millionär verwandelt Knast in Luxusvilla“, „Jail For Life – And Is Glad Of It“  oder „Aus Liebe zu Rothenburg ins Gefängnis.“ Die Luxus-Burg mit den vielen Kunstschätzen und den geselligen Bewohnern füllt die Illustrierten.

Aber für Hanns Teichert ist das noch lange nicht der Ruhestand. Ihm und seiner Frau liegt soziales Engagement am Herzen. Nach dem schrecklichen Krieg initiierte Teichert 1961 in Rothenburg die Gründung von „Eurocontact“. Er wurde zugleich Präsident dieses „Institutes für europäische Kultur und Bildungsarbeit“. Landrat Dr. Wagner, Verkehrsdirektor Lüttgens, Prinzen und Fürsten des Hauses Hohenlohe, Oskar Schubart, Regierungspräsident Burkhardt und Oberbürgermeister Dr. Lauterbach gehörten unter anderem zur Gründungsversammlung. Die vielversprechende Initiative versandete aber Jahre später wieder.

Mit dem Teichertschen Druckverfahren zur fertigen Raumflächenbearbeitung machte der Dresdner aus Chicago dann nochmals in Deutschland von sich Reden. In vielen staatlichen und privaten Gebäuden, vom Kurtheater Bad Kissingen bis zu bekannten Hotels, sind bis heute die farbenfrohen individuellen Wanddrucke zu bewundern.

Aus dem alten Rothenburger Gefängnis haben die Teicherts  einen Ort der Begegnung gemacht. Dort gab es immer etwas zu feiern oder zu bereden, hat man Ideen geboren (wie zuletzt die Hilfsorganisation für Afrika „Pure Water“), haben sich manche Berühmtheiten die Klinke in die Hand gegeben. Im Künstlerbund (Hans Teichert nennt die Namen Lüttgens, Förster und den Architekten Eisenmann, mit dem er das Gefängnis umbaute) fand man schnell enge Freunde. Rothenburger ließen sich gerne in das Millionärsschloss einladen. Umgekehrt war das seltener der Fall.

Der Reichtum ist „Hanns Teichert“ nie in den Kopf gestiegen, er ist auf seine Art der Handwerker aus Dresden geblieben, ein immer zugänglicher, aufgeschlossener Mensch voller Idealismus und Tatendrang. Sein versteckter sächsischer Humor blitzt manchmal wieder auf und lässt in der Unterhaltung die angeschlagene Gesundheit vergessen. Gefragt, wie er denn sein Leben im Nachhinein beurteilt, zögert der 92-jährige keine Minute: „ich war der Hans im Glück!“                                                                                                                   ROLF DIBA

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