Willigis Jäger OSB mit dem Zen-Namen Kyo-un Rossi, war 2008 Gesprächspartner für ein exklusives Interview mit dem Autor. Der damals 83-jährige und heute 91-jährige Gründer des Meditationszentrums St. Benedikt in Würzburg gewährte mir anläßlich seines Vortrages in der Evangelischen Tagungsstätte Wildbad im Februar 2008 das nachfolgende, bislang so nicht veröffentlichte, Interview.
Im Jahr 2003 hatte er das Tagungszentrum Benediktushof in Holzkirchen gegründet, das er bis heute leitet. Im Januar 2002 hatte ihm das Bischöfliche Ordinariat Würzburg die Ausübung seines Amtes untersagt. Unter Leitung des damaligen Kardinals Joseph Ratzinger warf ihm 2001 die Glaubenskongregation vor, Glaubenswahrheiten der persönlichen Erfahrung unterzuordnen, und erteilte ihm ein Rede-, Schreib- und Auftrittsverbot.[
Auf seiner Internetseite https://www.benediktushof-holzkirchen.de/ heißt es: Willigis Jäger verkörpert eine konfessionsunabhängige zeitgenössische Spiritualität, die den spirituell Suchenden des 21. Jahrhunderts Antworten auf ihre drängenden Fragen gibt.
Hat Papst Benedikt Ihr Schweigegebot inzwischen aufgehoben?
Jäger: Nein, das hat er nicht getan. Dass ich außerhalb des Klosters leben muss, gilt noch bis 1. November 2008. Dann wird entschieden, ob ich weiter suspendiert bin. Ich darf keine Sakramente spenden. Ich glaube, das man die Sache laufen lässt und gar nichts mehr macht. Wenn man mich vor die Alternative stellt, das Redeverbot annehmen, werde ich das nicht tun. Das hat dann Konsequenzen. Über diese Konsequenzen müsste verhandelt werden.
Was sagen Sie zu Ihrem Glaubensbruder, dem neuen Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz Robert Zollitsch?
Jäger: Ich glaube, dass er ein sehr guter Mann ist und nicht festgefahren ist, in irgendwelchen Bahnen. Sondern dass er frei die Bedürfnisse der Christenheit in Deutschland sieht, die nicht unbedingt konform gehen mit anderen Äußerungen. Ich glaube nicht, dass er sich zurückpfeifen lässt. Er wird seinen Standpunkt vertreten und dann muss man sehen, wer nachgibt.
Ist Ihre Vorstellung von einer heilen zukünftigen Welt ein Traum oder kann er Wirklichkeit werden?
Jäger: Er kann nur Wirklichkeit werden, wenn wir aus unserer Ich-Bezogenheit heraustreten. Sobald wir als Menschen Ich und Du sagen konnten, hat Kain den Abel umgebracht. Und diese …. hat sich in entsetzlicher Weise vervielfältigt. Das beruht auf unserem Egozentrismus, in den wir uns hineinmanöviert haben. Weil wir uns durchsetzen mussten. Es gab viele Hindernisse für unsere Spezies. Aber heute ist er so domnierend, dass wir nahe am Abgrund stehen und wir werden nur herauskommen, wenn es uns gelingt, wieder eine neue Ebene der Erfahrung zu erreichen. Wir haben Potenzen, die freigelegt werden können, die uns neue Möglichkeiten des Zusammenlebens bieten.
Die Entwicklung sieht doch ganz anders aus. Wir haben zunehmend Kriege, den Terrorismus, viele sehen die Bedrohung durch den Islam. Ihre Botschaft ist die, dass wir auf einem guten Weg sind. Wie passt das zusammen?
Jäger: Vielleicht schaffen wir es nicht als Spezies. Vielleicht gehen wir an unserer Egozentrik zugrunde. Es ist nicht unbedingt notwendig, dass wir als Spezies existieren. Niemand wird uns vermissen, wenn wir nicht mehr da sind. Und damit kommen wir zur Kernfrage: Was ist der Sinn unseres Daseins. Warum bin ich Mensch geworden? Was soll ich in diesen paar Jahrzehnten in diesem zeitlosen Universum? Darauf suchen wir Anwort. Natürlich haben die Religionen darauf Antworten gegeben und ein Modell geschaffen, damit ihr euch nicht selber umbringt, weil ihr selbst keine Zukunft habt. Aber diese Modelle tragen heute nicht mehr. Wir erkennen, dass die Wahrheit hinter diesen Modellen liegen muss. Und darum suchen wir sehr stark gerade in der Mystik, wie überhaupt in der spirituellen Bewegung, nach einer Erfahrungsebene, die transzental, transrational ist , wo eine neue Erkenntnis und Erfahrung auf uns wartet. Die auch eine Erfahrung der Einheit ist. Und aus der Einheit kommt eine universale Liebe. Nicht eine existienzielle Liebe – Ich liebe Dich und Du liebst mich. Dieses ganze Universum ist eigentlich auf Einheit und auf Liebe angelegt. Ich hoffe, dass wir auf dem Weg sind, das selbst in uns zu entdecken. Die Anlage dazu haben wir mitbekommen.
Müssen sich Gläubige nicht viel stärker politisch einmischen, um deutlich zu machen, dass Wohlstand sozialpflichtig ist, statt sich von der Kirche einen „Maulkorb“ verpassen zu lassen?
Jäger: Die Spiritualität möchte zurück ins Leben. Es gibt keine Spiritualtiät, die irgendwo abgehoben angesiedelt ist. Die christliche Mystik verbindet man immer ein bißchen mit Bigotterie, mit Ekstasen. Das ist nicht der Kern der Mystik. Jede wirkliche Mystik führt zurück in den Alltag. Im Zen würden wir sagen, es führt zurück auf den Marktplatz. Ein Eckehart würde sagen, Maria hat nicht das Ziel erreicht, sie muss Martha werden. Sie muss wieder zurück in den Alltag und im Alltag leben und auch dafür sorgen, dass sich der Alltag ändert. Im Haus Benedikt sind wir sehr stark in der Politik. Wir geben Kurse für Manager und Wirtschaftsleute, für Intellektuelle und sehr viele Kurse für Lehrer. Wir wollen in den Alltag, in das Leben hinein. Eine Mystik, die nicht in den Alltag zurückkehrt, ist eine Pseudo-Mystik.
Es gibt sehr viele falsche Angebote, die etwas vorgauckeln, was sie dann nicht halten. Kann man in der starren Form der katholischen Kirche bleiben. Im Zen erheben sie sich darüber. Die Religionen sind vereint, die Widersprüche lösen sich auf. Warum ist es Ihnen wichtig, überhaupt noch der katholischen Kirche anzugehören?
Jäger: Ob mir das wichtig ist, weiß ich nicht. Aber ich sehe auch keinen Grund auszutreten. Es gibt heute eine sehr starke Bewegung innerhalb aller Konfessionen, herauszuführen aus der Konfession in die Erfahrung … Das heißt die Spiritualität ist dabei, lebendig zu werden und die Menschen auf den Gipfel der Erfahrung zu führen, wo die Einheit herrscht. Die einen sagen, wir gehen rechtsrum, die anderen linksrum, Aber das Ziel jeder Religion war und ist, auch wenn es nicht immer so deutlich herauskommt, eine Erfahrung, die in den heiligen Büchern geschrieben steht. Und nicht nur ein Befolgen von vorgeformten Meinungen, die letztlich doch aus unserem Menschsein heraus entsprungen sind. Die eigentliche Religiosität kommt aus der Mystik des Ostens und Westens.
Es gibt auch die Feststellung, dass ein Christ durch die Praxis des Zazen noch ein besserer Katholik werden kann oder er kann einer anderen Religion angehören. Kann seine religiösen Gefühle dadurch auch vertiefen. Das ist kein Widerspruch. Zen wird mit Buddhismus gleichgesetzt, sein Ursprung ist es ja nicht.
Jäger: Zen ist kein Buddhismus. Am Ende geht es tatsächlich um einen interkonfessionellen Vergleich. Ich vergleiche Christentum, Judentum, Islam, Katholizismus und Evanglische Kirche. Aber das ist ein interkonfessionelles Gespräch. Die Spiritualität führt über diese Konfessionen hinaus in eine Erfahrung, die allen Konfessionen gemeinsam ist. Am Ende gibt es nur eine hintergründige Wirklichkeit, ob ich die Gott nenne, Brahma oder Lehrheit oder Zen, spielt keine Rolle.
Ist das der Weg zu einer Einheits-Religion?
Jäger: Das ist kein Weg zu einer Einheits-Religion. Ich will, dass jede Religion bleibt, was sie ist. Aber jede Religion soll erkennen, dass ihr eigentliches Ziel die Erfahrung dessen sein sollte, was in den Dogmen verkündet wird.
Dazu gehört, dass eine Religion nicht Gewalt predigen kann, dass sie den Frieden möchte und lebt, sonst hat sie keine Existenzberechtigung?
Jäger: Eine Religion, die Gewalt predigt, die verfehlt ihre Grundstruktur. Kein Religionsstifter, auch nicht Mohamed haben letztlich Gewalt gepredigt. Es kommt immer darauf, wie ich das Evangelium oder das Alte Testament auslege. Im Alten Testament ist auch sehr viel Gewalt. Aber wir wissen, dass es eigentlich nicht bedeutet, andere Menschen anzufeinden, umzubringen, sondern es eine viel tiefere Bedeutung hat. Auch ein tieferes Erkennen meines eigenen Standortes.
Sie stellen das Hier und Jetzt gern in den Mittelpunkt: Wie sehen Sie den Stand der Erneuerung auf der menschlichen und gesellschaftlichen Ebene?
Jäger: Wir kommen nur weiter, wenn es uns gelingt, in eine Erfharung zu kommen, die Einheit bedeutet. Das ist das Ziel der Spiritualität. Ich erfahre, dass der Andere mit mir verbunden ist in einer existenziellen Art, eine fundamentelle Art der Erfahrung, die in der Liebe endet. So dass das Ziel unserer Religionen, der Spiritualität sein muss, diese Einheitserfahrung mehr zu fördern. Dann komme ich ohne weiteres auf die Einheit – auch in der Einheit. Dann erfahre ich das Leid des anderen als mein Leid und die Freude des anderen als meine Freude. Ich tue dem anderen das an, was ich mir selber antue. Es geht in der Spiritualität um eine neue Erkenntnis- und Erfahrungsebene, die die Ich-Bezogenheit öffnet zugunsten einer größeren Einheit und Liebe.
Eigentlich müssten sich die Kirchen diesem Feld mehr öffnen. Umso trauriger ist es, dass ihre Zen-Kurse im Haus Benedikt in Würzburg nicht mehr möglich sind. Sehen Sie denn, dass die Kirchen sich mehr bewegen?
Jäger: Es gibt eine doppelte Bewegung in den Kirchen. Eine Bewegung hin zum Fundamentalismus und Kreativismus und eine Bewegung der Spiritualität. Das gibt es in der evangelischen und in der katholischen Kirche, die auch mehr Spiritualtiät in das Leben bringen möchte. Ich glaube, dass wir auf einem guten Weg sind. Ob es im Laufe der Zeit gelingt, uns mit dieser Spiritualität durchzusetzen, das ist die Frage.
Sonst hätten Sie nicht einen solch vollen Terminkalender.
Jäger: bin schon 83 Jahre alt. Werde bald nicht mehr notwendig sein. So schnell geht das nicht. Ich bilde Menschen aus, die das weitertragen. Habe ich eine große Schar von evangelischen und katholischen Pfarrern, Lehrerinnen, die mein Erbe übernehmen. Habe eine Stiftung gegründet, westöstliche Weisheit, die eigentlich dieses Anliegen weitertragen möchte, auch wenn ich nicht mehr da bin.
Wie sehen Sie die Lehre Jiddu Krishnamurtis, der sagt, „selbst das Sitzen ist schon äußere Form“
Jäger: Krishnamurti spricht aus seiner Erfahrung. Leider sagt er kein Wort zum Weg in diese Erfahrung. Das bemängele ich an ihm. Dass es einen Weg in die Erfahrung gibt, das lehnt er leider ab. Er sagt, entweder habe ich die Erfahrung oder ich habe die Erfahrung nicht. Es gibt einen Weg in die Erfahrung. Es gibt eine 7000 Jahre alte Geschichte , Historie, wo Menschen einen großen Weg gegangen sind und durchgebrochen sind.
Was ist Ihre praktische Erfahrung als Zen-Lehrer?
Ich arbeite seit vierzig jahren intensiv mit den Menschen im Zen und stelle immer wieder fest, dass sie durchbrechen auf eine neue Ebene. Das ist ein Faktum. Zu mir kommen immer wieder Menschen, die sagen, hätte ich sie vorher kennengelernt, wäre ich nicht in die Psychiatrie gegangen. Ich habe gemeint, es sei ein psychopathischer Zustand, dabei war es ein tiefer mystischer Vorgang.
Vielen Dank für dieses interessante Gespräch!
Schon häufiger war Williges Jäger in Rothenburg zu Besuch. Gäste und Freunde aus Japan hat er in die alte Stadt geführt. Etliche Zen-Meister waren darunter, die Deutschland kennenlernen wollten. Pater Williges hat ihnen den Kölner Dom, Schloss Linderhof und Rothenburg gezeigt, ihnen das alte Deutschland nahegebracht und vermittelt, wie man früher gelebt und auch gekämpft hat. „Schaut euch die dicken Stadtmauern an“ sagt er, denn die künden bis heute von kriegerischen Zeiten.
ROLF DIBA