ROTHENBURG – Die endgültige Aufgabe ihres großen Drogerie- und Parfümerie-Geschäftes mit Foto- und Baby-Abteilung mitten in der Altstadt ist für die Unternehmer-Familie Reingruber nicht so überraschend wie für die meisten Kunden. Der Schritt sei überfällig, sagt Hannes Reingruber: „Es rechnet sich einfach nicht mehr!“ Seit Jahren bricht ein Geschäftsfeld nach dem andern ein. Verbrauchermärkte vor den Toren, das Internet, Corona und schlechte Erreichbarkeit sind Stichworte. Eine hundertzweijährige Geschäftstradition endet mit dem Jahreswechsel – der Verlust für den Einzelhandel in der Altstadt ist groß.
Auch der gute Ruf, begründet auf freundlichem Fachpersonal und kompetente Beratung, sowie die Stammkundschaft aus weitem Umkreis, kann das Familienunternehmen nicht mehr retten. Nicht einmal die Tatsache, dass sogar Nachfolger da wären, wendet das Blatt betont Hannes Reingruber. Sein Sohn Axel und die Frau des zweiten Sohnes Michel sind schon lange im Geschäft tätig, aber auch sie können gegen den Trend nichts ausrichten.
Die Firmengeschichte reicht bis ins Jahr 1921 zurück, als Andreas Reingruber das Haus Georgengasse 5 gekauft hat, damals eine Seifensiederei und Kerzenzieherei. 1931 übernahm Sohn Wilhelm das Geschäft und erweiterte es zur Drogerie mit Großhandel für Mineralwasser und Limonaden. Als er in den Krieg muß, führt es seine Frau Lina weiter. Nach dem Bomben-Angriff an Ostern 1945 bleiben nur noch die Grundmauern übrig. Aber schon 1950 kann das wieder aufgebaute Anwesen nach einem räumlichen Intermezzo neu bezogen werden. 1958 kommt ein Reformhaus dazu, dann die Parfümerie mit Kosmetiksalon. Nach dem Tod des Vaters übernehmen 1971 die Geschwister Hannes und Traudl die Geschäftsleitung, vergrößern, modernisieren und ergänzen um eine Fotoabteilung.
Pandemie und Internet
Hannes Reingruber, 76, sieht eine Reihe von Gründen für die Geschäftsaufgabe. Da seien die auswärtigen Kunden, die nicht mehr in die Stadt hineinfahren könnten. Sie kauften lieber außerhalb in den Supermärkten und mieden die Altstadt. Das Parken sei ein Problem, auch im Gegensatz zu Nachbarstädten zu teuer. Und es fehlten nach der Pandemie die Übersee-Touristen, die häufig Kunden waren: „Jetzt sind es vorwiegend deutsche Gäste und die brauchen nichts”, heißt es.
Der bequeme Interneteinkauf bleibt nicht folgenlos für den örtlichen Handel, man vergleicht Preise am Bildschirm und läßt sich die Ware kurzfristig vor die Haustüre liefern. Reingruber: „So wird das eigene Geschäft immer weniger und irgendwann stellt man fest, das rentiert sich nicht mehr!“ In besten Zeiten gehörten 24 Leute zur Belegschaft, jetzt sind es noch acht.
Das Unternehmen war durch ein breit gefächertes Angebot gut aufgestellt. Aber was nützt das, wenn nach und nach die Geschäftsfelder einbrechen. So bei der leistungsfähigen Fotoabteilung, die unter dem Siegeszug der Handy-Fotografie leidet. Als Partner von Photo Porst war man erfolgreich gestartet, konnte alle gängigen Marken in verschiedenen Preissegmenten verkaufen. Die Masse fotografiert inzwischen mit dem Alleskönner Handy, das braucht keine Betreuung. Allerdings blieb der Service rund ums Bild mit Paßbildern, Fotodrucken, Bilderrahmen und Passpartout-Zuschnitt bei Reingruber gefragt.
Breites Sortiment kam an
Eigentlich ist das Geschäft ein Musterbeispiel für große Anziehungskraft. Traudl Reingruber: „Wir hatten viele Kunden aus Württemberg, die jetzt ausbleiben.“ Das liege an der verhinderten Anfahrt bei den ewigen Baustellen in den Gassen. Auch als Zulieferer für Gewerbe, vor allem für die Gastronomie, seien die Einnahmen weniger geworden. Die insgesamt rückläufige Entwicklung habe schon vor sechs Jahren eingesetzt und sich gesteigert.
„Wir haben viel privates Geld in den Betrieb gesteckt, weil wir dachten, es muß doch weitergehen, aber jetzt sind einfach die Reserven aufgebraucht“, resümmieren Traudl und Hannes Reingruber in der Geschäftsleitung. „Wozu soll ich noch in die Stadt kommen, wenn es euch nicht mehr gibt“ hören sie neuerdings häufig von Kunden. Dies unterstreicht, dass hier einer der letzten familiengeführten Einzelhandels-Magneten aus der Innenstadt verschwindet.
In jedem der Supermärkte vor der Stadtmauer findet der Verbraucher längst Artikel wie sie auch Reingruber anbietet, der damit vielleicht einmal exklusiv war. Und es geht weiter: Zum dm-Drogerie-Markt gesellt sich demnächst noch ein Rossmann-Markt aus der Branche. Rund um den ehemaligen Schlachthof, in Bahnhofsnähe und im Norden an der Würzburger Straße existieren bequem anfahrbare Einkaufs-Zentren mit genügend Parkplätzen.
Müssen noch mehr aufgeben?
Was soll nun aus den Immobilien mit den Läden werden, am besten vermieten? Traudl Reingruber, die mit 83 Jahren unverändert agile Geschäftsfrau, meint dazu: „Die Häuser lassen sich mit unseren Alters-Renten nicht erhalten, schon gar nicht bei dem, was die Politik von den Eigentümern an Heizung und Dämmung verlangt. Man müßte zu viel reinstecken, modernisieren und umbauen.” Ein Verkauf sei deshalb für die Familie denkbar.
Hannes Reingruber war 25 Jahre lang Vorsitzender des örtlichen Industrie- und Handelsgremiums, er hat die Stadtentwicklung erlebt und kennt die Sorgen der Einzelhändler. Das Angebot im Fachhandel sei im Wesentlichen auf Damenmode und Schuhe begrenzt, andererseits fehle z.B. ein Elektromarkt. Er ist sicher: „Es kommen noch mehr nach, die ihr Geschäft aufgeben müssen”. Auch das Handwerk ist ausgedünnt, die Altstadt bleibt vorrangig als Touristenstadt übrig, Facheinzelhandel wird durch Tourismusläden ersetzt.
Auch aus ihrer kommunalpolitschen Erfahrung beurteilt Traudl Reingruber die Negativentwicklung der Innenstadt. Sie war 42 Jahre für die CSU im Stadtrat, davon 24 Jahre als Bürgermeisterin und engagiert sich in der Sozialarbeit. Beim Festspiel traf sich ihre Laienschauspiel-Karierre (als Magdalena) mit der ihres Bruders Hannes, der 29 Jahre lang den Altbürgermeister Nusch auf der Kaisersaalbühne verkörperte. Alles ehrenamtlich versteht sich!