ROTHENBURG OB DER TAUBER – Auch wenn er an diesem 7. November 2001, einem Mittwochabend in Rothenburg ob der Tauber, der „Empfangsstube Bayerns“, sagt, er wolle gern Ministerpräsident bleiben, so macht Edmund Stoiber doch mit seinem rhetorisch gut einstudierten Auftritt deutlich, dass er auch zum Kanzler taugen möchte.
Von Berlin über Nürnberg zum Flugplatz Niederstetten und von dort mit dem Wagen mit gut einstündiger Verspätung in die weltberühmte mittelalterliche Stadt für den derzeitigen „CSU-Star“ am bundesdeutschen Polithimmel hätten die fast tausend Besucher, die dicht gedrängt in der Reichsstadthalle standen, wohl noch länger gewartet. Lokalgrößen der Partei ebenen dem Star den Weg durch die Menge, das städtische Jugendblasorchester hatte den Wartenden mit bayerisch-flotten Weisen die Zeit verkürzt, ehe dann der Beifall aufbrandet, als „er“ den Saal durchschreitet, aufrecht, strahlend, wie ein Siegertyp! Aus dem einstigen „Armenhaus Bayerns“ hätten ehrgeizige CSU-Politiker einen Landstrich mit moderner Infrastruktur gemacht, eröffnete Stoiber seine Rede. Alle Gruppen der Bevölkerung fänden sich in der CSU zusammen. Das spiegele sich gerade in den Landkreisen wieder, wo der Landrat ein wichtiger „Manager“ für die Landesentwicklung sei.
Aber erst bei der Bundes- und Weltpolitik erreichte der Partei-Vorsitzende die höchste Stufe einer inbrünstig vorgetragenen Politrede, gepaart mit fein gesetzter wirkungsvoller Gestik. Kein Mensch hätte sich vor kurzem noch vorstellen können, dass deutsche Soldaten weltweit zum Einsatz kommen. Man habe sich nach Aufhebung Ost-West-Teilung dem Trugschluss vom Frieden hingegeben. Jetzt werfe der Terror vom 11. September die gesamte Ordnung über den Haufen. Wie nie zuvor sei die Politik gefordert, nachdem man fast schon geglaubt hatte, es würden nur noch die Wirtschaftsbosse die Welt gestalten.
Laut Stoiber geht es um die Erhaltung unserer freiheitlichen Lebensordnung, während Islamisten die Trennung von Staat und Religion ablehnten. Man müsse fragen, warum es unter den 48 islamischen Staaten keine einzige Demokratie gebe. Kritik übte Stoiber sogar an den Kirchen. So vermisse er, dass die Kirche für die Freiheit der Christengemeinden in arabischen oder islamischen Ländern ebenso eintrete wie für die Rechte der Moslems in Deutschland. Keiner rede vom unermesslichen Luxus der Öl-Magnate. Wer nur nach unseren Leistungen für die anderen Länder frage, müsse auch fragen, warum die reichen Araber ihre armen Brüder verhungern lassen. Deutschland dürfe sich nicht länger allein auf die Anklagebank setzen lassen.
Es habe ein „politischer Feldzug, der die Welt verändert² begonnen, betonte der Ministerpräsident und wies auf die internationale Allianz hin. Die Amerikaner hätten Deutschland die Freiheit beschert und jetzt sei „unsere uneingeschränkte Solidarität“ selbstverständlich. Die Unionsparteien stünden in diesem Falle sogar hinter dem Bundeskanzler, denn es gehe um die Staatsräson.
Hart kritisiert Stoiber die Bundesregierung wegen ihrer Einwanderungspolitik. Schon der bloße Verdacht auf Extremismus soll ausreichen, um jemanden gar nicht erst ins Land zu lassen. Wir seien eines der ausländerfreundlichsten Länder der Welt und man müsse erkennen, wann die Aufnahmefähigkeit erschöpft ist.
Wenig hält der CSU-Chef von den derzeit im Fernsehen überhand nehmenden Talk-Runden. Stoiber dazu: „Es ist noch nie soviel politisch gequatscht und so wenig entschieden worden!“ Wem sagt er das?
ROLF DIBA (erschienen im Fränkischen Anzeiger 2001)