Rothenburg-Roman entsteht

Rothenburg-Roman entsteht

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Klaus Pohl @ rolf diba

Klaus Pohls Karriere vom Lehrling zum Dramatiker und Schauspieler

ROTHENBURG – „Das Weggehen war nicht gegen Rothenburg gerichtet, sondern es entsprang meiner großen Neugierde, ich wollte einfach etwas Neues erfahren“, erzählt uns der gebürtige Tauberstädter Klaus Pohl, der nach der Verkäuferlehre im Obstgeschäft Wankerl 1969 in die Großstadt ging, den Sprung ans Theater schaffte und sich dann Sprosse um Sprosse die Karriereleiter hocharbeitete. Heute lebt er in New York und Wien. Er zählt zu den erfolgreichen Bühnenautoren und hat sich als Dramatiker, Schauspieler und Regisseur einen großen Namen gemacht.

Nicht nur manches, was er für die Bühne inszenierte, erregte den Anstoß bei Politikern und bestimmten Kritikern – schon bei seinem Weggang aus dem Fremdenverkehrsstädtchen machte Klaus Pohl deutlich, welch kritischer Geist in treibt. Bereits als sechzehn- und siebzehnjähriger Einzelhandels-Lehrling ließ er sich vom damals kursierenden gesellschaftskritischen Gedankengut anstecken. Die 68er Studentenrevolte, die außerparlamentarische Opposition, die Konfrontation zwischen Kapitalismus und Sozialismus/Kommunismus – geistige Auseinandersetzungen der damaligen Zeit mit Ausläufern bis in die letzte Provinz der Republik!

Kritische Töne

Und so bleibt es nicht aus, dass sich Klaus Pohl und der Lokalredakteur des Fränkischen Anzeigers beim Interview zuerst mal an die „kämpferischen Zeiten“ erinnern. Ein „Rothenburger Aktionsrat“ wurde damals von Klaus Pohl mit initiiert, im „Schwarzen Adler“ wetterte man gegen die „Ausbeutung der Lehrlinge auch in örtlichen Betrieben“, nahm die Berufsschule aufs Korn und forderte im Einklang mit den Studenten in den Uni-Städten einen Umwandlungsprozeß der bundesrepublikanischen Gesellschaft.
Nicht nur im politischen Leben (jede Partei hatte eine aktive, kritische Jugendorganisation) der Stadt, sondern auch in der Kirche ging es hitzig zu. Pohl unterstützte engagiert die von einigen als schon ketzerisch angesehene Arbeit des evangelischen Pfarrers Wunderer, der mit seinen progressiven Jugendgottesdiensten letztlich soviel Mißfallen erregte, dass er sich bald darauf „versetzen lassen durfte“. Das von dem jugendlichen Obstverkäufer Pohl zum konsumkritischen Lied umgedichtete „Stille Nacht, Heilige Nacht“ wird sowohl Weihnachten 1968 wie nochmals 1969 zum Stein des Anstoßes. Im Fränkischen Anzeiger erscheint eine lange Betrachtung über die Unruhe in „christlichen Kreisen“.

Klaus Pohl erzählt von den wilden Sechzigern @ rolf diba
Klaus Pohl erzählt von den wilden Sechzigern @ rolf diba

Klaus Pohl in seiner Geburtsstadt.

In solch aufrührerischer Verfassung zieht es den jungen Pohl erstmal nach München. Ostpreußisches Blut hat er durch seine nach Rothenburg geflüchteten Eltern in den Adern. Seine noch hier lebende Mutter ist mit Recht stolz auf die großen Erfolge ihres 1952 geborenen Sohnes Klaus, der noch zwei Brüder hat.
Klaus Pohl erzählt heute von seinen damaligen Rothenburg-Erlebnissen als sei er gar nicht weggewesen. Von der Topplerschule, vom Assels Willi, dem er als Kind staunend beim Krämerskorb-Brüten der Hans-Sachser zuschaute und von seiner „schönen Lehrzeit bei Wankerl, der mir immer ein guter Chef war!“. Dort hatte sogar sein erster Erfolg als Schreibender begonnen, nahm er doch an einem Aufsatzwettbewerb der Verkaufsorganisation teil und gewann prompt bundesweit den zweiten Preis. „Da durfte ich mit meinem Chef drei Tage nach Berlin und bekam sogar ein Preisgeld“. An Auszeichnungen mangelt es ihm inzwischen nicht mehr: der Schiller-Gedächtnispreis, der Mülheimer Dramtikerpreis und der Gerhart-Hauptmann-Preis gehören dazu.
Nach dem Zivildienst in einem Krankenhaus fand er aufgrund seines Talentes und Könnens Zugang zum Theater, absolvierte die Schauspielerausbildung am Berliner Max-Reinhardt-Seminar, bekam an der Volksbühne 1975 seine erste Rolle und wurde ein Jahr später ins Ensemble des Deutschen Schauspielhauses Hamburg geholt. Engagements ans Thalia-Theater und nach Zürich folgten. Er schrieb mehrere Bühnenstücke und wirkte in bekannten Spielfilmen mit.

Durchbruch als Dramatiker

„Das alte Land“, ein Schauspiel, in dem er den Neuanfang nach dem Krieg in einem norddeutschen Dorf schildert, verschafft ihm 1984 den Durchbruch als Dramatiker. Jürgen Flimm verpflichtete ihn als Schauspieler und Autor nach Köln und es folgt mit „La Balkona Bar“ (eine Handlung in den Goldenen Fünzigern) ein weiteres Erfolgsstück des Rothenburgers. Die unbewältigte Vergangenheit und die konsumorientierte Gegenwart im Nachkriegsdeutschland sind Grundthema seiner als Deutschland-Trilogie bezeichneten Stücke „Das alte Land“, dann „Karate-Billi kehrt zurück“ (DDR und Stasi-Vergangenheit) und „Die schöne Fremde“ (1991, Thema Fremdenhaß und Rechtsradikalismus).
New York ist seit 1992 die neue Wahlheimat von Klaus Pohl, wobei er zeitweise auch als „Städte-Pendler“ in Wien lebt. Aus jüngerer Zeit sind sein erstes amerikanisches Stück „Vinny“ (um ein junges Mädchen aus der Gosse) und sein 1999 in Stuttgart uraufgeführtes Stück „Jud Süß“ zu erwähnen, das kontrovers in den Schlagzeilen war.
Neben den Theaterarbeiten stehen Hörspiele und Drehbücher, so im Jahr 2000 das Stück „Abschied – Brechts letzter Sommer“ und die „Stunde des Wolfs“ (ARD). Was Pohl 1994 in einer Reise durch Ostdeutschland aufnahm, schlug sich in einem viel beachteten mehrteiligen SPIEGEL-Essay nieder. Sein Stück „Wartesaal Deutschland StimmenReich“, aufgeführt in Berlin, bezeichnete der SPIEGEL als das wichtigste über das vereinigte Deutschland.

Stück über den Widerstand

„Das Theaterstückeschreiben aus jugendlicher Empörung“ liege hinter ihm, erzählt uns Klaus Pohl, der sich als sehr aufgeschlossener und sympathischer Gesprächspartner erweist und fügt hinzu: „Ein letztes großes Stück schreibe ich noch über die deutschen Generäle des Widerstandes von 1944“. Er wolle sich künftig mehr auf Prosa verlegen. Kraft und Ideen schöpft er nicht zuletzt aus einer kreativen Familie. Seine Frau, die Regissseurin Sandra Weigl, gebürtige Rumänin, kann selbst auf eine Theater- und Sängerkarriere verweisen (auf ihrer CD „Gipsy Killer“ interpretiert sie rumänische Zigeunerlieder mit „einer außergewöhnlichen Stimme“ wie die BBC urteilt). Die 20-jährige Tochter Lucie geht auf die Schaulspielschule, Tochter Marie, 25, ist bereits als Autorin erfolgreich und hat gerade eine Lesereise durch Deutschland beendet (außerhalb dieser Reihe las sie diese Woche sogar im benachbarten Kirchberg).
Nach siebenjähriger Pause besuchte Klaus Pohl mit seiner Tochter Marie diese Woche für mehrere Tage seine Geburtsstadt und das hatte auch einen besonderen Grund: er steckt mitten in der Arbeit für einen Rothenburg-Roman. Es wird die Geschichte eines Mannes, der nach dreißig Jahren in der Fremde zurückkehrt. Politisches und die Liebe werden hineinspielen, verrät er. Einen melancholischen Schluß soll der Roman haben, den der Autor voraussichtlich nächstes Frühjahr hier vorstellen wird.

Irgendwann zurückkehren?

Natürlich steckt ein gutes Stück Autobiographie dahinter und so bleibt ihm die Frage nicht erspart, ob er denn das „reifere Alter“ hier verbringen könnte? Klaus Pohl zögert mit seiner Antwort, hält es aber für möglich, weil ihn die Stadt bis heute in ihrer Schönheit und in ihrem Leben fasziniert. „Aber“, so schränkt der Schauspieler und Regisseur dann doch noch ein, „es könnte schwer sein sich hier zu motivieren“. Sein Lebensweg zeigt, dass er ein Mensch ist, der ständig neue Anregungen braucht, die auch im Alter jung halten. Manhattan, so sagt Klaus Pohl, ist für ihn auf eine andere Art auch ein historischer und urbaner Ort wie Rothenburg – dort in New York gebe es ein ungeahntes Lebensgefühl.
Tochter Marie, die das letzte Mal als kleines Mädchen hier war, schwärmt geradezu von der mittelalterlichen „Märchenstadt“, dabei weiß sie allerdings: „Ein halbes Jahr würde es mir in Rothenburg sicher Spaß machen!“ Dann aber dürfte es die weltgereiste junge Dame wieder hinausziehen in die Metropolen, da ist sie ziemlich sicher.
Die New Yorker Gesellschaft hat nach Pohls Erfahrungen auch den 11. September besser verdaut, als das übrige Amerika. Dort sehe man die Dinge gelassener, halte nichts von der Hysterie der US-Regierung. Was unter Bush geschieht ist nach Einschätzung von Pohl und der meisten Intellektuellen, die er in New York kennt, „reiner Fundamentalismus“.
Am Ende landet das Gespräch sogar noch bei der Stadtentwicklung. Er finde es gut, wenn man hier zu neuen Ufern aufbrechen wolle, ermuntert der berühmte Sohn der Stadt die Rothenburger nach vorne zu schauen. Schon im Winter will er wiederkommen.

ROLF DIBA

Fränkischer Anzeiger, 23.06.2003

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